Sollte ein Lektor 100%ige Fehlerfreiheit garantieren? Ist das überhaupt möglich? Über unrealistische Erwartungen und unseriöse Versprechungen.

Kennen Sie die Amischen in den USA? Genau, das sind diese Menschen, die ohne Strom und fließendes Wasser auskommen, ohne Handys, Autos oder sonstige Bequemlichkeiten, die wir als selbstverständlich ansehen. Das sind aber auch die Menschen, die das Patchworken erfunden haben – das Herstellen traumhaft schöner Decken aus alten Stoffresten, die in monatelanger Handarbeit liebevoll zu faszinierenden Mustern zusammengefügt werden.

Foto einer wunderschönen Patchworkdecke
Quelle: unsplash.com

Man sagt den Amischen nach, dass sie in jede dieser Decken als Zeichen der Demut absichtlich einen kleinen Fehler einbauen. Denn, so sagen sie, kein Mensch ist perfekt. Einzig Gott macht keine Fehler.

Ob diese Schilderung nun auf Tatsachen beruht oder ob es sich hierbei nur um ein hartnäckiges Gerücht handelt – in einem muss man den Amischen recht geben: Menschen machen Fehler. Es gibt niemanden, der von sich behaupten kann, dass ihm nicht gelegentlich der ein oder andere Ausrutscher passiert.

Und das ist natürlich auch im Beruf der Fall. Ja, auch bei uns Lektoren.

Gibt es das fehlerfreie Lektorat überhaupt?

Immer wieder findet man im Internet Angebote von Lektoren, die eine hundertprozentige Fehlerfreiheit garantieren. Solche Angaben sind jedoch, gelinde gesagt, unseriös. Natürlich streben wir dieses Ziel an, natürlich möchten wir die bestmögliche Arbeit leisten und unsere Kunden zufriedenstellen. Aber selbst die sprichwörtlichen Argusaugen übersehen hier und da etwas.

Glauben Sie mir: Kein Mensch ärgert sich mehr über einen übersehenen Fehler als Ihre Lektorin oder Ihr Lektor. Und dennoch kommt es vor – und zwar gar nicht allzu selten. Johannes Sailler schreibt in seinem Handbuch Korrekturlesen (2017):

„Besonders gute Korrektorinnen oder Korrektoren finden in einem durchschnittlich fehlerreichen, inhaltlich anspruchsvollen und formal komplex gestalteten Text bis zu 90 % der gravierenden Fehler, nur selten mehr. Durchschnittlich gute Leistungen liegen bei 80 bis 90 %, weniger gute liegen noch darunter. Eine zweite Lesung kann das Ergebnis auf um die 95 % steigern.“*

Damit haben Sie nicht gerechnet, oder?

Haben Sie jemals einen Roman gelesen, in dem überhaupt kein Fehler vorkam? Ich nicht. Und das, obwohl Romane in seriösen Verlagen oft mehrere Lektorats- und Korrekturrunden durchlaufen. Auf der Internetpräsenz des Verbands der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL) steht sogar geschrieben, dass „… annähernde Fehlerlosigkeit auf allen Ebenen (…) sich nur im Sechs-bis-Acht-Augenprinzip umsetzen (lässt)“. Das bedeutet also, dass 3-4 Personen den Text überarbeitet haben – und selbst dann ist die Fehlerfreiheit nur „annähernd“!

Illustration einer Ratte von hinten

Daher ist es dem VFLL auch ein Anliegen, im Kunden keine unrealistischen Erwartungen zu wecken. In seinem Verhaltenskodex schreibt der Verband: „Freie Lektorinnen und Lektoren im VFLL (…) machen weder in ihrer Werbung noch ihren Auftraggebern gegenüber unrichtige oder irreführende Angaben und unterlassen Werbeaussagen, die eine hundertprozentige Fehlerfreiheit in Texten versprechen.“

Denn die gibt es nicht. Punkt.

Die Erfolgsquote verbessern

Es gibt mehrere Faktoren, die beeinflussen, wie viele Fehler Ihr Lektor tendenziell übersehen wird. Bei einigen davon können Sie mitwirken, um am Ende eine möglichst hohe Fehlerfreiheit zu erzielen.

Fehleranzahl im Ursprungstext

Es ist eigentlich eine einfache Rechnung: Bei einer Findequote von 90 % und einer Fehleranzahl von 100 Fehlern im Ursprungstext bleiben im Schnitt 10 Fehler stehen. Hatte der Text aber bei Übergabe 1000 Fehler, sind es immerhin schon 100!

Aber die Rechnung geht noch weiter. Denn leider ist es so, dass man oft vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Wenn ein Text mit Fehlern nur so gespickt ist, verliert man eher die kleinen Flüchtigkeitsfehler aus den Augen, als wenn der Text vorher schon korrekturgelesen wurde. Das heißt also, dass eine hohe Fehlerquote den Prozentsatz an gefundenen Fehlern senken kann.

Was können Sie also tun? Ich kehre noch einmal zu Herrn Saillers Handbuch zurück: „Insgesamt lässt sich festhalten, dass es gut ist, Texte schon in möglichst hoher Qualität in die Korrektur zu geben. Nur dann wird das Endergebnis wirklich befriedigend sein.“

Komplexität des Textes

Je simpler der Text, desto einfacher lassen sich Fehler entdecken. In einem einfachen Kinderbuch ist hundertprozentige Fehlerfreiheit daher durchaus denkbar, in einem komplexen Sachbuch nicht.

Zeitdruck

Wer unter Zeitdruck arbeitet, übersieht Fehler leichter als jemand, der jedes Wort Silbe für Silbe untersuchen kann. Sie machen es Ihrer Lektorin daher leichter, ein gutes Resultat abzuliefern, wenn Sie ein ausreichendes Zeitbudget einplanen.

Anzahl der Arbeitsdurchgänge

Viele Kunden bestellen ein inhaltliches Lektorat und wundern sich, wenn der Text am Ende mit Rechtschreib- und Grammatikfehlern gespickt ist. Das liegt daran, dass Ihr Lektor beim inhaltlichen Lektorat das Augenmerk auf völlig andere Dinge legt als beim Korrektorat. Er steigt mitunter so tief in die Handlung und den Aufbau des Textes ein, dass er Rechtschreibfehler überhaupt nicht mehr wahrnimmt. Eine Korrektorin oder stilistische Lektorin hingegen achtet weniger auf den Inhalt und untersucht stattdessen jeden Satz Wort für Wort nach Fehlern. Natürlich korrigieren wir beim inhaltlichen Lektorat auch offensichtliche Rechtschreib- oder Grammatikfehler – wenn sie uns auffallen. Aber das wird häufig nicht der Fall sein.

Es ist also unrealistisch zu erwarten, dass Ihre Lektorin inhaltliches Lektorat und Korrektorat in einem Durchgang bieten kann. Wenn Sie eine möglichst hohe Fehlerfreiheit wünschen, müssen mindestens Lektorat und Korrektorat getrennt durchgeführt werden.

Vom Kunden oder Lektor eingebaute neue Fehler

Wenn Ihre Lektorin größere Eingriffe in Ihrem Text vornehmen muss und ggf. ganze Passagen umschreibt, wird sie zwangsläufig Fehler einbauen. Das gleiche kann passieren, wenn Kunden nach dem Lektorat die Änderungen einpflegen. Leider wird man jedoch bei eigenen Texten betriebsblind, sodass viele dieser nachträglich eingebauten Fehler dann auch stehenbleiben. Ein abschließender Korrekturgang ist daher immer zu empfehlen. Ich biete Ihnen für diesen Fall zum Beispiel das zweistufige Lektorat an, bei dem ich Ihren Text noch ein zweites Mal überprüfe, nachdem Sie die nötigen Änderungen vorgenommen haben.

Und schließlich

Zu guter Letzt stellt sich noch die Frage, ob jeder Fehler, den ein Lektor übersehen hat, denn tatsächlich ein Fehler war? Die deutsche Sprache ist wahrlich nicht ohne Komplikationen. Die Verwendung von Kommas ist zum Beispiel oft freigestellt und die Rechtschreibung bei vielen Wörtern ebenfalls. Und zuweilen widersprechen sich selbst die beiden Standardwerke zur deutschen Sprache, Duden und Wahrig, gegenseitig, wie ich in meinem Artikel „Sprechen Sie Deutsch oder deutsch?“ ausgeführt habe.

Sollte Ihrem Lektor also einmal ein Fehler entgangen sein, bedeutet das nicht gleich, dass er unprofessionell arbeitet. Im Gegenteil: Wer von sich behauptet, dass er jeden Fehler findet, ist unprofessionell. Im Zweifelsfall empfehle ich daher: Sprechen Sie die Person an. Auch Lektoren sind nur Menschen und für alles lässt sich eine Lösung finden.

*Diese Werte beruhen auf Auswertungen von Probetexten, die von Lektoren bearbeitet werden sollten.


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