Heißt es eigentlich bei schönem, warmem Wetter oder eher bei schönem, warmen Wetter? Deklamiere ich in bestem, klarem Französisch oder in bestem, klaren Französisch? Heute möchte ich einen Zweifelsfall der deutschen Sprache beleuchten, der selbst unter Lektoren für Verwirrung sorgt.

Neulich bin ich in einem Roman* über den Ausdruck „ein … Mann mit kurzem grauen Haar“ gestolpert. „Oh!“, dachte ich mir. „Da ist die Lektorin wohl älteren Semesters gewesen.“ Denn ich war bisher der Auffassung, dass man eine solche Wechselflexion (vorne -em und hinten -en) seit der Rechtschreibreform nicht mehr verwendet. Und tatsächlich hat der Duden eine Zeitlang empfohlen, in einem solchen Fall an beiden Adjektiven die Endung -em zu verwenden (sogenannte Parallelflexion). Nun ist er allerdings zurückgerudert: die Wechselflexion ist neben der Parallelflexion erlaubt – aber nur in bestimmten Fällen. Um dem Phänomen auf die Schliche zu kommen, müssen wir erst einmal betrachten, in welchen Fällen die Frage überhaupt relevant ist. Wenn ich zum Beispiel schreibe, dass das Meer „von einem schönen, klaren Blau“ war, käme das Problem gar nicht auf. Denn hier dekliniere ich aufgrund des Artikels schwach.

Was ist schwache Deklination?

Die schwache Deklination tritt vor allem dann auf, wenn vor dem zu beugenden Adjektiv ein bestimmter Artikel steht. Der Artikel übernimmt hier die Aufgabe, den Fall (Nominativ, Genitiv etc.) zu markieren, während das Adjektiv immer auf -e oder -en endet.

 

der große Fußdie wilde Fahrt
des großen Fußesder wilden Fahrt
dem großen Fußder wilden Fahrt
den großen Fußdie wilde Fahrt

Was ist starke Deklination?

Bei der starken Deklination hingegen kann man am Adjektiv selbst erkennen, um welchen Fall es sich handelt. Denn das Adjektiv übernimmt die Endung des bestimmten Artikels (es ist quasi stark genug, den Fall selbst anzuzeigen). Dies ist vor allem der Fall, wenn kein Artikel vor dem Adjektiv steht sowie manchmal beim unbestimmten Artikel.

ein großer Fuß (der)eine wilde Fahrt (die)
grosser Fuß (der)wilde Fahrt (die)
auf großem Fuß (dem)auf wilder Fahrt (der)
grossen Fuß (den)wilde Fahrt (die)

Deklination bei mehreren Adjektiven

Bei schwacher Deklination tritt das Problem, das wir heute untersuchen, nicht auf. Auch wenn ich den Fuß zusätzlich noch blau und die Fahrt schnell mache, behalten beide Adjektive die gleiche Endung:

der große, blaue Fuß
dem großen, blauen Fuß
der wilden, schnellen Fahrt

Kritisch wird es erst bei der starken Deklination, und auch hier normalerweise nur im Maskulinum und Neutrum Singular des Dativs:

auf großem blauem Fuß(?)auf großem blauen Fuß(?)
mit fließendem weichem Haar(?)

mit fließendem weichen Haar(?)

Wie heißt es nun also richtig? Die Antwort lautet: Beides kann in bestimmten Fällen richtig sein, aber nur eins ist immer richtig.

Schauen wir uns also die beiden möglichen Fälle an:

Die Adjektive sind gleichrangig

Wenn zwei Adjektive gleichrangig sind, umschreiben sie das Nomen auf die gleiche Art. Sie stehen gleichberechtigt nebeneinander und ihre Reihenfolge kann problemlos getauscht werden. Außerdem kann man ein „und“ zwischen die beiden Adjektive setzen, ohne dass der Sinn entstellt wird. Zum Beispiel hier:

Sie hatte einen schnellen, schwungvollen Schritt an sich.

Man könnte auch sagen: „Sie hatte einen schwungvollen, schnellen Schritt an sich.“ Der Satz würde weiterhin Sinn ergeben. Wie Sie außerdem sehen, muss zwischen gleichrangigen Adjektiven ein Komma stehen. Und es muss in einem solchen Fall die Parallelflexion verwendet werden:

Mit schnellem, schwungvollem Schritt kam sie ins Büro.

Die Adjektive sind nicht gleichrangig

Anders sieht es aus, wenn die Adjektive nicht gleichrangig sind. Hierbei bildet das zweite Adjektiv mit dem Nomen einen Gesamtbegriff, welcher vom ersten Adjektiv umschrieben wird. Das erkennen Sie daran, dass Sie die Adjektive nicht tauschen und auch kein „und“ dazwischensetzen können.

Guter löslicher Kaffee kann eine Alternative zu Filterkaffee sein.

Hier können Sie nicht „löslicher guter Kaffee“ sagen, denn der lösliche Kaffee ist ein Gesamtbegriff. Ist das der Fall, kann das Adjektiv, mit dem das Nomen den Gesamtbegriff bildet, entweder stark oder schwach gebeugt werden:

Sie empfing ihn mit gutem löslichem Kaffee.

 Sie empfing ihn mit gutem löslichen Kaffee.

Im Gegensatz zu dem Fall mit gleichrangigen Adjektiven ist hier beides richtig.

Ich fasse also noch einmal zusammen:

Im Falle von gleichrangigen Adjektiven müssen Sie parallel flektieren, wenn die Adjektive jedoch nicht gleichrangig sind, ist sowohl die Parallel- als auch die Wechselflexion möglich.

Laut Duden der Zweifelsfälle (1.4) kommt bei nichtgleichrangigen Adjektiven die Wechselflexion (also -em mit -en) etwas häufiger vor. Microsoft Word (ich verwende Word 2016) empfiehlt mir allerdings die Parallelflexion. Und die würde ich Ihnen auch empfehlen, denn dann müssen Sie nicht mehr darüber nachdenken, ob Sie es mit gleichrangigen oder nichtgleichrangigen Adjektiven zu tun haben. Eine Lösung passt für alles.

* „Der Gesang der Bienen“ von Ralf H. Dorweiler. Ein spannender historischer Roman, den ein alter Schulfreund von mir geschrieben hat. Sehr empfehlenswert!

Kategorien: Deutsche Sprache - schwere Sprache

21 Kommentare

Séan McManus · 26 März, 2022 um 19:10

Dieser sehr gut verfasste Artikel hat mir geholfen, als Deutschlerner, die Deklination der Adjektive besser zu verstehen. Ich danke Ihnen für Ihren Beitrag.

Nicole Kretzer · 4 Mai, 2022 um 05:56

Guten Morgen, als Deutschlehrerin hat mir der Artikel geholfen meinen eigenen Fehler zu verstehen . Ich bin dann wohl eher das ältere Modell 😅. Vielen Dank 😊

    Die Lektoratte · 4 Mai, 2022 um 06:32

    Ist ja auch wirklich verwirrend, zumal das andere ja nicht per se falsch ist.

    Bodo · 21 August, 2022 um 18:35

    Als Deutschlehrerin sollte man allerdings auch wissen, wo und wann Kommata zu setzen sind. Nach … geholfen… ist ein Komma zusetzen.

      Die Lektoratte · 22 August, 2022 um 14:24

      Lieber Bodo,
      hier ist die Verwendung des Kommas tatsächlich fakultativ – und ich habe das als Anlass genommen, die Frage in meinem neusten Blogeintrag genauer zu erörtern.

Milivoj Janka · 3 Januar, 2023 um 14:31

Hallo,

Können Sie mir bitte helfen zu verstehen, unter welche Deklinationsregel ein Beispiel wie dieses gehört:

“Die ungewöhnlich schöne Frau…”

Wegen des bestimmten Artikels „Die“ ist es die schwache Deklination. Warum wird dann das erste Adjektiv (ungewöhnlich) nicht scwach dekliniert (ungewöhnlich-e)?

    Die Lektoratte · 3 Januar, 2023 um 19:45

    Lieber Herr Janka,
    das kann ich Ihnen ganz leicht erklären: Das Adjektiv bekommt kein “e” weil es kein Adjektiv ist. 😉

    Es handelt sich hier nämlich um ein Adverb (genau genommen ist es ein adverbial gebrauchtes Adjektiv, aber das benutzt man genau wie ein Adverb, also nennen wir es hier einfach mal Adverb).

    Adjektive beschreiben ein Nomen. Wie ist das Auto? Wie ist der Baum?
    Adverbien hingegen beschreiben unter anderem ein Verb, manchmal aber auch ein Adjektiv. Wie fährt das Auto? Wie hoch ist der Baum?

    In Ihrem Beispiel beschreibt ungewöhnlich nicht die Frau. Sie ist keine ungewöhnliche Frau. Aber sie ist ungewöhnlich schön! Also nicht “Wie ist die Frau?” sondern “Wie schön ist die Frau?”

    Ungewöhnlich ist in diesem Fall also ein Adverb. Und ein Adverb ist unveränderlich und kann deshalb keine Endung bekommen.

Matthias Gebauer · 16 Januar, 2023 um 16:20

Hallo! Ich bin eindeutig Team Wechselflexion. Das ist bei mir “so drin”, aber ich bin alt und kein Dutschlehrer. Auf jeden Fall wieder was gelernt.

Mich treibt in ihrem Artikel noch etwas anderes um: ist die kleine Alternative in “Guter löslicher Kaffee kann eine alternative zu Filterkaffee sein.” Unfall oder Absicht?

    Die Lektoratte · 17 Januar, 2023 um 08:06

    Lieber Herr Gebauer, das ist natürlich keine Absicht, sondern das, was passiert, wenn man versucht, die eigenen Texte zu lektorieren: Betriebsblindheit. Vielen Dank für den Hinweis! 🙂

    Iris Prott · 27 Januar, 2023 um 19:25

    Großartig! Ich habe schon über den Titel so lachen müssen, dass ich meinem Gespür gefolgt bin, hier vielleicht endlich Hilfe für mein allmählich mächtig mäanderndes Sprachgefühl finden zu können – und lag damit goldrichtig. Künftig werde ich einfach so parallel flektieren, dass es eine Wonne ist. 😀 Auch Ihre Erklärung zum im Beispielfall adverbial gebrauchten Adjektiv “ungewöhnlich” ist so einleuchtend und klar auf den Punkt gebracht, dass ich ehrlich beeindruckt bin (hätte man mich gefragt, ich hätte gestammelt ohne Ende ;). Vielen Dank für diese tolle Seite!

      Die Lektoratte · 27 Januar, 2023 um 21:13

      Vielen Dank für das große Lob. 15 Jahre Deutschunterricht haben ihre Spuren hinterlassen. Auf die Art habe ich es meinen Schülern auch immer erklärt.
      Sie dürfen mich natürlich gerne weiterempfehlen. 😉

Iris Prott · 28 Januar, 2023 um 13:02

Schon geschehen 😊 Leider beinhaltet mein Freundeskreis keine professionell mit deutscher Sprache befassten Menschen, aber vielleicht spricht es sich ja so trotzdem weiter rum.

Tom Schott · 13 Mai, 2023 um 17:45

Prima Beitrag, der keine Frage offen lässt und erst noch gut unterhält! Vielen Dank!

Aura · 3 Februar, 2024 um 20:06

Der Ausdruck: Ist ein Wortspiel mit nicht 100 prozentiger grammatikalischen Übereinstimmung.

Ist das richtig, falls ja wieso? Falls nicht, wieso?
Vielen lieben Dank im Voraus!

    Die Lektoratte · 13 Februar, 2024 um 15:09

    Hallo Aura, die Endung “-en” in dem Wort “grammatikalischen” ist hier falsch, und zwar egal, ob es gleichrangige oder nicht-gleichrangige Adjektive sind. Denn das Wort “Übereinstimmung” ist feminin – und feminine Adjektive in der starken Deklination haben im Dativ immer die Endung “-er”, auch wenn es mehrere Adjektive sind. Also: “mit nicht 100-prozentiger grammatikalischer Übereinstimmung”.

Marc Bachmann · 20 April, 2024 um 21:07

Hallo, Ich bin über folgende Textpassage gestolpert: “Trotz herausforderndem wirtschaftlichen und politischem Umfeld…”. Ich hätte hier drei Mal stark dekliniert, also “Trotz herausforderndem wirtschaftlichem und politischem Umfeld…”. Was ist hier korrekt und wie lautet die Begründung?
PS: Ich bin aus der Schweiz, weshalb nach “trotz” der Dativ folgt.

    Die Lektoratte · 22 April, 2024 um 08:52

    Lieber Herr Bachmann,
    Sie hatten Recht, hier zu stolpern. Denn so, wie der Satz bisher daherkommt, geht es tatsächlich nicht. Es handelt sich hier um nichtgleichrangige Adjektive. Und zwar haben wir auf der einen Seite „herausfordernd” und auf der anderen „wirtschaftlich und politisch”. Wenn die Adjektive nicht gleichrangig sind, dann ist sowohl die Wechsel- als auch die Parallelflexion erlaubt. Sie können also jeweils -m oder einmal -m und einmal -n verwenden (wobei ersteres einen Hauch „moderner” ist).
    Bis „wirtschaftlichen” ist hier also noch alles richtig. Aber da „wirtschaftlich und politisch” eine Einheit bilden, der das Adjektiv „herausfordernd” untergeordnet ist, muss hier auch die gleiche Endung stehen.
    Möglich ist also:
    „Trotz herausforderndem wirtschaftlichem und politischem Umfeld …”
    „Trotz herausforderndem wirtschaftlichen und politischen Umfeld …”
    Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen. Und noch ein kleiner Tipp zu einer anderen Sache: Vor die drei Punkte nach „Umfeld” kommt ein Leerzeichen, da Sie hier nicht mitten im Wort aufgehört haben.

      Marc Bachmann · 22 April, 2024 um 23:03

      Vielen Dank für die rasche Antwort, die sich glücklicherweise mit meinem Sprachgefühl deckt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert