Eine Leserin meines Blogs hat neulich als Kommentar zu einem meiner Grammatikartikel geschrieben: “(A)ls Deutschlehrerin hat mir der Artikel geholfen meinen eigenen Fehler zu verstehen.” Darauf antwortete ein anderer Leser, dass man als Deutschlehrerin doch aber auch wissen müsse, dass nach “geholfen” ein Komma stünde.

Ist es schon so weit gekommen, dass selbst die Deutschlehrer kein Deutsch mehr können? Oder hatte die Dame vielleicht recht?

Infinitivgruppen

In der Schule haben wir (hoffentlich) gelernt, dass zwischen eine Infinitivgruppe mit zu und den Rest des Satzes normalerweise ein Komma gehört. Eine Infinitivgruppe besteht aus einem Infinitiv (arbeiten, schuften, malochen) mit einem “zu”. Oft können noch andere Wörter hinzukommen, zum Beispiel “zu faulenzen, nicht zur Arbeit zu gehen, im Bett zu bleiben, gefeuert zu werden, Pech gehabt zu haben”. Im Satz unserer Lehrerin von oben wäre die Infinitivgruppe also: “meinen eigenen Fehler zu verstehen”.

Aber müssen wir da wirklich immer ein Komma setzen? Schauen wir uns das doch einmal genauer an.

Illustration einer Ratte von hinten

Der Duden verrät zu diesem Thema Folgendes: “(…) Infinitivgruppen kann man durch Komma abtrennen (…).”* Kann ist nicht muss. Das heißt, die Kommasetzung ist zunächst einmal freigestellt. Und doch gibt es Fälle, in denen tatsächlich ein Komma stehen muss. Und auch solche, in denen kein Komma stehen darf.

Wann muss ein Komma stehen?

(Hinweis: In den folgenden Beispielen ist die Infinitivgruppe jeweils grün.)

1. Hinweisendes Wort

Wenn die Infinitivgruppe durch ein Wort quasi angekündigt oder aber im Nachhinein noch einmal daran erinnert wird, muss ein Komma stehen. Hinweisende Wörter können zum Beispiel es, das, dies, daran, darauf, dazu oder so etwas sein.

Ich liebe es, morgens im Bett zu bleiben.

Ich denke ja gar nicht daran, zur Arbeit zu gehen.

Meinen Job zu verlieren, damit habe ich nicht gerechnet.

 2. Nomen

Auch wenn sich die Infinitivgruppe auf ein Nomen bezieht, ist ein Komma Pflicht.

Der Gedanke, aufstehen zu müssen, war mir ein Graus.

Meine Bemühungen, aus dem Bett zu klettern, waren vergebens.

Mir fehlt die Fähigkeit, mich zu überwinden.

 

Die Infinitivgruppe erläutert hier das Nomen näher. Welcher Gedanke? Aufstehen zu müssen. Welche Bemühungen? Aus dem Bett zu klettern. Welche Fähigkeit? Mich zu überwinden.

Wie man in dem Beispiel sieht, ist die Infinitivgruppe durchaus wie ein kleiner Nebensatz anzusehen, sodass in einigen Fällen sowohl davor als auch danach ein Komma stehen muss (wenn der Satz nach dem Einschub noch weitergeht).

3. Bitte auswendig lernen

Und als Letztes noch eine Regel, die ich mir selbst immer und immer wieder anschauen musste. Da hilft nur auswendig lernen:

Ein Komma muss gesetzt werden, wenn die Infinitivgruppe mit

    • als
    • (an)statt
    • außer
    • ohne
    • um

beginnt.

Ich blieb im Bett, anstatt zur Arbeit zu gehen.

Ich lag einfach nur da, ohne zu malochen.

Außer zu essen, wollte ich heute absolut gar nichts tun.

***

Achtung: Besteht die Infinitivgruppe nur aus „zu“ und dem Verb und können beim Lesen keine Missverständnisse entstehen, darf trotz hinweisendem Wort oder Bezug auf ein Nomen das Komma weggelassen werden.

Andere haben Angst zu verschlafen. Ich nicht.

Wann darf kein Komma stehen

1. Getrennte Infinitivgruppe

Es kommt vor, dass eine Infinitivgruppe auseinandergerissen wird und ihre Teile einen Hauptsatz umklammern. In einem solchen Fall darf kein Komma gesetzt werden.

Diese Art von Arbeitshaltung beschloss mein Chef zu bestrafen.

Nicht auseinandergerissen würde der Satz so aussehen (und dann darf er auch ein Komma haben):

Mein Chef beschloss(,) diese Art von Arbeitshaltung zu bestrafen.

2. Infinitivgruppe in verbaler Klammer

So ähnlich, nur anders herum: Unterbricht die Infinitivgruppe die verbale Klammer des Satzes, darf kein Komma stehen. Verbale Klammern sind Verben, die zusammengehören, weil sie zum Beispiel eine Zeitform bilden oder weil ein Hilfsverb das Verb ergänzt (z. B. hatte entschieden, ist imstande, muss versuchen).

Ich muss mich herauszureden versuchen.

Mein Chef ist mich zu feuern imstande.

Aber er hatte schon mich zu feuern entschieden.

Ich habe nicht zu protestieren gewagt.

(Ich gebe zu, es hätte weniger holprige Beispielsätze gegeben. Aber was tut man nicht alles für die Kunst.)

3. Verschränkung mit dem Begleitsatz

Wird die Infinitivgruppe auseinandergerissen und mit dem Satz verwoben, darf auch kein Komma stehen.

Seine Entscheidung muss ich zu respektieren versuchen.

Ich wage meinen Protest nicht zu äußern.

Anstatt: Ich muss versuchen(,) seine Entscheidung zu respektieren.

4. Abhängigkeit von Hilfsverben

Gehört die Infinitivgruppe eng zu einem Hilfsverb (haben, sein), wird kein Komma gesetzt.

Arbeitnehmer haben jeden Tag zu erscheinen.

Die Anwesenheitspflicht ist zu beachten.

5. Abhängigkeit von anderen Verben

Aber auch bei anderen Verben ist das Setzen eines Kommas verboten, wenn die Infinitivgruppe von ihnen abhängt: brauchen, pflegen, scheinen, (versprechen, drohen – im übertragenen Sinne).

Pflichtbewusste Arbeitnehmer pflegen täglich bei der Arbeit zu erscheinen.

Meine Kollegen scheinen pflichtbewusster zu sein als ich.

Mein Tag verspricht sehr erholsam zu werden. 

Komma freigestellt

In allen anderen Fällen ist das Komma fakultativ – das heißt, Sie dürfen selbst entscheiden. Wenn ein Komma Ihrer Meinung nach dem Verständnis des Satzes zuträglich ist, dürfen Sie es gerne setzen.

Das gilt (anders als früher) übrigens auch, wenn die Infinitivgruppe das Subjekt des Satzes darstellt.

Ich weigere mich(,) früh aufzustehen.

Mein Chef hat vergeblich versucht(,) mich von der Notwendigkeit des frühen Aufstehens zu überzeugen.

Früh aufzustehen(,) gehört nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.

 

Und somit zurück zu unserer Anfangsfrage: Gehört in den Satz der Lehrerin ein Komma? Die Antwort: Es kann, muss aber kein Komma gesetzt werden.

Quellen:

Gallmann, Peter Prof. Dr.: Das Komma bei Infinitivgruppen. Universität Jena. http://gallmann.uni-jena.de/Ortho/V_Infinitiv_Skript.pdf (22.8.22)

„Komma“. Duden-Online. https://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/komma (22.8.2022)

Stang, Christian; Anja Steinhauer: Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen. Das Handbuch zur Zeichensetzung. 3. Aufl. Dudenverlag, 2018.


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