Nach dem neutralen Erzähler haben wir uns beim letzten Mal der auktorialen Perspektive gewidmet und erfahren, wie man sie verwendet und woran man sie erkennt. Wenn Sie den vorigen Teil noch nicht gelesen haben, empfehle ich Ihnen, das hier zu tun. Heute wollen wir uns vor allem anschauen, wofür man die auktoriale Perspektive verwendet. Und natürlich habe ich am Ende wieder einen Beispieltext für Sie.

Legen wir also los. Wofür eignet sich die auktoriale Perspektive? Was kann man damit nicht so gut machen?

 

Vor- und Nachteile der auktorialen Perspektive

Keine Erzählperspektive ist perfekt. Was für die eine Geschichte ideal ist, sorgt bei der anderen für Langeweile. Wichtig ist, dass Sie genau abwägen, welche Perspektive für Ihre Geschichte die richtige ist.

Der auktoriale Erzähler kann wunderbar …

        • … ein Gesamtbild einer Situation, Epoche, Familiengeschichte etc. zeigen. Diese Perspektive eignet sich ideal, wenn Ihre Geschichte sehr viele Charaktere unter einen Hut bringen muss. Stellen Sie sich zum Beispiel eine große Schlacht in einem Fantasyroman aus der Perspektive eines Zwergs vor: „Ich hieb auf das Knie ein und der Kerl fiel um. Doch schon sah ich wieder zwei Füße vor mir …“ Das hat zwar definitiv auch seinen Reiz, aber viel über das allgemeine Schlachtgeschehen werden Sie hier nicht erfahren.
        • Charaktere von allen Seiten zeigen – den positiven und den negativen. Das können Sie natürlich in den anderen Perspektiven auch tun, aber dort funktioniert es anders. In der personalen Perspektive wird der Protagonist in den allermeisten Fällen seine schlechten Seiten entweder übersehen oder aber zu vertuschen versuchen. Aus seinen Handlungen können Sie dennoch zwischen den Zeilen Information zusammensammeln. Der auktoriale Erzähler platzt stattdessen vielleicht gleich damit heraus: „Robbie war ein Faulenzer, aber er hatte ein gutes Herz.“ Oder aber er erzählt einfach, wie die anderen Robbie sehen. Auch das beeinflusst uns.
        • … zwischen Orten, Personen und sogar Zeiten leicht hin und her wechseln. Die Krähe ist nicht festgewachsen, sie kann also fliegen wann und wohin sie will.

Natürlich gibt es aber auch Dinge, für die die auktorialen Perspektive nicht so gut geeignet ist. Denn wie ich ganz zu Anfang erwähnt habe, lässt die allwissende Erzählweise häufig weniger Nähe zu den Protagonisten zu. Da wir als Leser häufig mehr wissen als die handelnden Personen, fühlen wir nicht immer das gleiche wie sie (zum Beispiel fürchten wir um das Leben des Protagonisten, weil wir schon wissen, dass hinter der nächsten Ecke Gefahr lauert, während dieser noch fröhlich vor sich hinpfeifend die Straße entlangläuft). Das kann in manchen Geschichten von Vorteil sein, in anderen erzeugt die mangelnde Nähe Langeweile. Denn wenn die Erzählung zu sehr auf die größeren Zusammenhänge fokussiert ist und zu selten heranzoomt, kommt der Leser nie richtig an die Charaktere heran.

Es soll doch spannend sein

Für viele Leser bewirkt aber gerade die Nähe zu einer Figur, dass das Buch für uns spannend wird. Denn wir identifizieren uns nur selten mit Personen, über deren Gefühle wir nichts wissen. In anderen Worten: Die Identifikation mit einem Protagonisten ist ein großer Faktor bei der Erzeugung von Spannung. Wenn wir uns mit den Figuren überhaupt nicht identifizieren können, ist es uns im schlimmsten Fall einfach egal, ob sie sich wieder aus der Patsche herausmanövrieren können oder nicht.

Wenn Sie also als auktorialer Erzähler den Figuren eher entfernt bleiben, müssen Sie dringend auf andere Weise Spannung erzeugen (etwa durch eine spannende Geschichte). Für einen Actionroman ist die auktoriale Perspektive daher mitunter geeignet, für einen Liebesroman eher weniger.

Illustration einer Ratte von hinten

Eine weitere Gefahr dieser Perspektive hat auch mit Spannung zu tun: Der auktoriale Erzähler weiß alles – und kann uns somit auch alles erzählen. Tut er das zu früh, langweilen wir uns und es gibt keinen Grund, weiterzulesen. Die Spannung geht verloren.

Überlegen Sie sich genau, ob und wo Sie Sätze wie „Hätte Sie gewusst, dass es ihr letztes Abendessen werden würde, hätte Sie den teuersten Wein auf der Karte bestellt“ einsetzen wollen. An der richtigen Stelle können solche Zukunftschauen Gold wert sein, an anderen töten sie die Spannung.

Und nun zum Thema „Alles wissen“. Der auktoriale oder allwissende Erzähler weiß alles. Und das bedeutet auch, dass er keine Fehler machen darf. Denn wenn er behauptet, dass Mount Everest 8888 m hoch ist, dann verliert er damit an Glaubwürdigkeit (Kenner haben sofort bemerkt, dass hier 4 Meter hinzugemogelt worden sind). Was der personale Erzähler darf (Wir denken: Na ja, der Protagonist ist ja auch nur ein Mensch, der wusste es eben nicht besser …), ist dem allwissenden Erzähler absolut verboten (denn der ist kein Mensch, sondern eher gottgleich).

 

Wofür eignet sich diese Perspektive?

Wie Sie gesehen haben, ist die auktoriale Perspektive nicht ganz ohne Tücken und empfiehlt sich daher auch nicht unbedingt für Anfänger. Vielleicht wird auch sie deshalb in letzter Zeit, wie die neutrale Perspektive, nicht so häufig verwendet wie früher einmal – aber tot ist sie noch lange nicht. Es gibt durchaus beliebte Schriftsteller, die sich ihrer immer wieder bedienen (Grisham, zum Beispiel).

Besonders gut eignet sich der auktoriale Erzählstil für die folgenden Genres:

  • Anspruchsvolle Literatur
  • Krimi
  • Fantasy (Schlacht)
  • Kinderbuch

 

Beispiel für eine auktoriale Erzählung

Erinnern Sie sich noch an die kurze Szene in der dunklen Kirche, in der Marita die Leiche findet? Ich möchte Ihnen dieselbe Szene heute noch einmal erzählen, diesmal aber aus der auktorialen Perspektive. Um die Unterschiede hervorzuheben, habe ich es dabei etwas übertrieben und recht viele Sätze eigebaut, an denen man die Erzählperspektive erkennen kann. Eine solche Häufung würde man normalerweise tendenziell am Anfang einer Geschichte finden. Was hier allerdings fehlt (obwohl es keinesfalls Pflicht ist), ist die direkte Ansprache der Leser – hier hat sie einfach nicht gepasst.

In der Kirche war es fast vollständig dunkel. Das Licht der Straßenlaternen, das durch die langen Fenster fiel, schaffte es kaum, ein paar Zentimeter den Boden entlangzukriechen. Die Kerzen im Altarraum ließen einzig die Kanzel von unten müde aufflackern, auf der Pfarrer Holm am letzten Sonntag noch so eine eindringliche Predigt gehalten hatte. Hin und wieder warfen die Wände das Echo eines vorbeifahrenden Autos zurück. Doch die Fahrer der Autos scherten sich wenig um das, was in der Kirche vor sich ging. Sie hatten ihre Familien, das Meeting am nächsten Morgen oder das Fußballspiel am Samstag im Kopf, und selbst wenn sie gewusst hätten, dass Marina sich im Inneren des Gebäudes ihrem Verderben näherte, wären sie zu beschäftigt gewesen, um mehr als nur einen klitzekleinen Gedanken auf sie zu verschwenden.
Drinnen ging Marita langsam das Mittelschiff entlang auf das dunkle Etwas am Boden zu. Immer wieder sah sie sich um, denn es war unheimlich hier und sie hätte sich nicht gewundert, wenn gleich ein Vampir aus der Dunkelheit gesprungen wäre. Sie sah den Mann nicht, der zur gleichen Zeit durch die Seitentür hereinkam und mit einer Kamera in der Hand in ihre Richtung schlich. Stattdessen richtete sie ihren Blick wieder nach vorne und ging vorsichtig weiter auf die Vierung zu.
Als sie dort ankam, schlug sie sich die Hand auf den Mund, und erstickte einen Schrei. Es war ein Mensch, der dort lag, und um seinen Kopf herum hatte sich eine dunkle Pfütze ausgebreitet, die im Licht der Kerzen matt glänzte.
Vorsichtig näherte sich Marita dem leblosen Körper und ging neben ihm in die Hocke. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf das Blut. Zögerlich streckte sie eine Hand nach dem Körper aus. Ein, zwei, drei Mal zuckte sie zurück. Dann berührte sie die Hand der Person – nur kurz, aber lange genug, um zu merken, dass sie kalt war.
Der Mann mit der Kamera hatte sich unterdessen nähergeschlichen und machte sich für den Schuss seines Lebens bereit. Wenn er es richtig machte, könnte ihm dieses eine Bild endlich den Ruhm einbringen, den er verdiente.
Marita hatte genug erfahren. Mit einem leisen Schluchzen sprang sie wieder auf und drehte sich um. Doch im gleichen Moment blitzte ein helles Licht auf. Der Mann hielt seine große Kamera auf sie und den Körper am Boden gerichtet und drückte ein zweites Mal auf den Auslöser. Das war es. Er hatte es geschafft.
Marita erstarrte. Dann öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, aber es kam nur ein unverständliches Krächzen heraus. Verzweiflung stieg in ihr auf. Eine Träne lief ihr die Wange hinunter.

Und das war’s auch schon zum auktorialen Erzähler. Natürlich gäbe es noch weitaus mehr zu schreiben, aber Sie haben nun einen Überblick erhalten, der fürs Erste genügen sollte. Fragen Sie mich gerne, wenn etwas unklar ist.

Kategorien: Kreatives Schreiben

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert