Hast du schon einmal von Vampirverben gehört? Klingt gruselig, ist aber eher ein stilistisches Problem als ein Fall für Knoblauch und Holzpflock. Gemeint sind Verben, die deinen Text aussaugen, also ihm Energie, Lebendigkeit und Präzision nehmen.

In meinem letzten Beitrag habe ich euch Filterwörter vorgestellt, die einen Text weniger erlebbar machen. Das waren, ironischerweise, alles Verben, die das Erleben beschreiben. Es gibt aber noch weitere Verben, die eurem Text das Leben rauben können. Klassiker unter diesen Blutsaugern sind Wörter wie haben, sein, versuchen oder scheinen. Alles Verben, die zwar in Ordnung sind – aber eben auch blutleer.

Illustration einer Ratte von hinten

Natürlich kann man nicht komplett ohne sie schreiben. Das wäre genauso unnatürlich, wie in einem Vampirroman auf Blut zu verzichten. Vor allem haben und sein brauchen wir ständig. Aber es lohnt sich, genauer hinzuschauen: Wo nutzt du solche Verben vielleicht aus Bequemlichkeit? Wo könntest du stattdessen präziser, lebendiger, bildhafter formulieren?

Schauen wir uns diese Vampirverben doch einmal genauer an:

sein

Sein ist so ziemlich das „passivste“ Verb, das es gibt. Einfach „zu sein“ ist mit keinerlei Aktion verbunden. Und deshalb klingt es auch langweilig.

Der Abschiedsbrief war auf dem Tisch.

*gähn* Da passiert einfach nichts. Zudem ist der Satz auch recht ungenau, so dass kein Bild vor dem inneren Auge entstehen mag. Wie wäre es stattdessen hiermit:

Der Abschiedsbrief lehnte an einer Blumenvase auf dem Tisch.

Sofort haben wir ein Bild vor Augen. Viel besser! Aber apropos haben:

haben

Haben ist auch nicht sonderlich aktionsgeladen.

Das Haus hatte kaputte Fensterscheiben.

Das geht auf jeden Fall besser. Welches Verb würde hier gut passen? Warum sind die Scheiben denn kaputt?

Die Fensterscheiben des Hauses waren vor Jahren von jugendlichen Randalierern eingeworfen worden.

Du siehst sicher: Da steckt Leben drin! Das ist ein ganz anderer Satz, der unsere Vorstellung anregt.

beginnen/anfangen

Die Wörter beginnen und anfangen sagen schon aus, dass sie nur einen Teil der Aktion beschreiben. Zum Beispiel in diesem Satz:

Er fing an, ihr die Geschichte zu erzählen.

Fing er tatsächlich nur an? Oder erzählte er auch weiter? Warum betonen wir den Anfang so sehr? Gute Frage, denn das muss gar nicht sein:

Er erzählte ihr die Geschichte.

Diese Version ist direkter, klarer, nicht so blutleer. 
Sollte er übrigens doch nur angefangen haben zu erzählen und konnte aus irgendeinem Grund nicht weiterreden, dann ist anfangen natürlich in Ordnung. Allerdings erwarten wir dann auch ein doch oder aber.

befinden

Auch befinden saugt deinen Satz aus und lässt ihn blass aussehen.

Er befand sich unter dem Tisch.

Wieder entsteht nur ein schwaches Bild. Dabei ginge es viel besser:

Er kauerte unter dem Tisch.

Hier haben wir gleich noch Emotionen mit ins Spiel gebracht: Er scheint Angst zu haben.

versuchen

Versuchen wird oft verwendet, wo es gar nicht hingehört.

Claudia versuchte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken.

Sollte es Claudia auf Anhieb gelingen, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, dann ist versuchen hier fehl am Platz. Denn versuchen verrät uns, dass etwas voraussichtlich nicht funktionieren wird. Besser ist daher:

Claudia steckte den Schlüssel ins Schloss.

Wenn Claudia aber tatsächlich Probleme hat, eignet sich Show, don’t tell wunderbar:

Claudias Hände zitterten, als sich der Schlüssel dem Schloss näherte. Sie stocherte an der Tür herum, aber verfehlte das Schloss immer wieder.

scheinen

Wir hatten es beim letzten Mal schon, das Verb scheinen.

Sie schien wütend zu sein.

Wirklich? Woran merkt man das denn? Und ist sie jetzt wirklich wütend oder doch nicht?

Sie ballte die Hände zu Fäusten und stampfte mit dem Fuß auf.

Ah, wunderbar. Jetzt haben wir klare Fakten geschaffen. Darunter kann sich jeder Leser etwas vorstellen.

spüren

Wenn wir aus der Perspektive einer Person erzählen, dann zeigen wir, was diese Person sieht, hört, fühlt.

Er spürte, wie ihn ein Schauer überkam.

Das Wort spüren ist also völlig unnötig. Denn wenn er es nicht spüren würde, wie könnte es dann aus seiner Perspektive berichtet werden?

Ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter.

So einfach kann es sein.

Natürlich sind diese Verben nicht per se verboten. Häufig dürfen sie auch stehenbleiben oder sind sogar nötig. Aber frage dich bei der Überarbeitung deines Textes, wenn du diesen Vampiren über den Weg läufst, ob es nicht ein stärkeres, genaueres Wort gibt, das besser passt und deiner Szene nicht das Blut aussaugt und somit deinen Text leblos macht.

Dieser Artikel ist Teil meiner Mini-Reihe „Geschichten, die leben“. Weitere Teile:


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