Wir haben uns nun schon einige Erzählperspektiven angeschaut, zum Beispiel den Ich-Erzähler oder den auktorialen bzw. allwissenden Erzähler. Bevor wir uns nun den etwas ungewöhnlicheren Erzählweisen zuwenden, möchte ich heute auf die Fallstricke eingehen, die sich aus der Wahl der Perspektive ergeben. Häufig machen unerfahrene (und auch erfahrenere) Autoren nämlich Fehler bei der Verwendung der Erzählperspektive – manche sind recht offensichtlich, andere fallen selbst der Lektorin erst beim zweiten Durchlesen auf.

Perspektivfehler unterlaufen uns am häufigsten in der personalen Perspektive, egal ob wir in der ersten oder in der dritten Person erzählen. Sie erinnern sich an die Erzähler-Krähe? Sie sitzt in der drittpersonalen Perspektive (er/sie) auf der Schulter der Person, aus deren Perspektive wir die Szene miterleben (kurz: des POV-Charakters). Beim Ich-Erzähler sitzt sie sogar im Kopf des Protagonisten. Und von ihrem Sitzplatz aus berichtet sie uns brühwarm, was der Protagonist gerade erlebt, sieht, fühlt und denkt.

Illustration einer Ratte von hinten
Ratten-Fakt

Damit sie schnell kräftiger werden, dürfen junge und schwache Tiere in einem Rattenrudel zuerst fressen.

Die Krähe kann dabei allerdings nicht in die Köpfe der übrigen Charaktere schauen, kann nicht wissen, was anderswo passiert oder was hinter ihrem Rücken geschieht. Und was sie nicht weiß, kann sie uns natürlich auch nicht berichten.

Das klingt logisch, aber die Praxis zeigt, dass man trotzdem ganz leicht aus der Perspektive rutscht. Auch mir passiert das beim Schreiben immer wieder und fällt mir dann erst bei der Überarbeitung auf.

Es gibt viele Möglichkeiten, den eingeschlagenen Perspektivenpfad zu verlassen. Zum besseren Verständnis habe ich hier versucht, mögliche Fehler in Kategorien zu unterteilen. Fangen wir doch gleich einmal mit dem berüchtigtsten Fehler an, dem Head-Hopping.

Dazu erzähle ich Ihnen heute etwas über die Geschwister Annika und Tommy und deren Freundin Pipi. (Ähnlichkeiten mit fiktiven Personen sind nicht wirklich zufällig. 😉) In meinen Beispielsätzen ist Annika immer diejenige, aus deren Perspektive berichtet wird (egal ob in der ersten oder in der dritten Person). Damit Sie das nicht vergessen, werde ich immer den POV (Point of View – also den Perspektivträger) noch einmal nennen.

Head-Hopping

Beim so genannten Head-Hopping (Kopfhüpfen) erzählen wir die Geschichte zwar aus der Perspektive einer Person, wechseln dann aber doch immer wieder munter von einem Kopf zum anderen. Zum Beispiel so:

Während Annika die Suppe kochte und sich auf das Festmahl freute, schmollte Tommy. Schon wieder musste er den Tisch decken. Er hasste Tisch decken. Annika schmeckte die Suppe ab und war zufrieden. (POV Annika)

Die Krähe hüpft hier von Annika zu Tommy und wieder zurück. In der personalen Perspektive sollte sie das allerdings nicht tun. Zwar können Sie, wenn Sie multiperspektivisch erzählen, auch berichten, was Tommy fühlt und denkt, aber dabei gilt die Regel, dass Sie möglichst erst nach Beendigung einer Szene den POV ändern.
Ist Ihnen dennoch wichtig, dass die Krähe in die Köpfe beider Protagonisten hineinschauen kann, dann sollten Sie überlegen, ob Sie Ihre Geschichte nicht lieber in der auktorialen Perspektive schreiben. Denken Sie aber daran, dass dann der allwissende Erzähler auch deutlich hervortreten sollte. Sie erinnern sich? Der auktoriale Erzähler bewertet, kommentiert, fasst zusammen.

Ein weiteres Beispiel:

Annika mochte Erbsensuppe. Tommy nicht. (POV Annika)

Zugegeben, Annika kennt ihren Bruder sicher recht gut. Im Notfall würde ich diese Sätze durchgehen lassen. Aber in er Regel, sollten Sie so etwas vermeiden.

Merken Sie sich also: Entscheiden Sie sich für einen Charakter und bleiben Sie (zumindest für diese Szene) bei ihm.

Hinter meinem Rücken

Ein weiterer beliebter Perspektivfehler ergibt sich, wenn die Krähe uns Dinge erzählt, die sie gar nicht wissen kann, weil sie an einem anderen Ort oder eben hinter ihrem Rücken geschehen.

Annika drehte sich um und ging. Hinter ihrem Rücken streckte Tommy ihr die Zunge raus. (POV Annika)

Da muss Annika wohl Augen im Hinterkopf gehabt haben. Woher sonst sollte wissen, was Tommy hinter ihrem Rücken treibt?

Pipi schaute den beiden nach. (POV Annika)

Genauso hier. Wenn Annika gerade weggeht, weiß sie in aller Regel nicht, was Pipi gerade tut. Sie könnte sich allerdings noch einmal umdrehen und würde dann sehen, wie Pipi ihnen nachschaut. Aber das müssen Sie dann natürlich auch schreiben.

Annikas Mutter beugte sich über das Treppengeländer und rief ihr nach. (POV Annika)

Annika ist längst unten an der Tür, sonst müsste die Mutter ihr ja nicht hinterherrufen. Daher wird sie das Rufen vielleicht noch vernehmen, aber dass sich die Mutter über das Treppengeländer gebeugt hat, wird sie erst sehen, wenn sie sich umgedreht hat.

Merken Sie sich also: Achten Sie darauf, was Ihr POV-Charakter sehen kann und was nicht.

Anderer Ort

Annika (genauso ihre Krähe) kann also nicht wissen, was hinter ihrem Rücken passiert. Und noch viel weniger kann sie durch Wände schauen oder ans andere Ende der Stadt. Daher können wir in der personalen Perspektive auch nicht darüber berichten, was an einem anderen Ort gerade passiert. Folgendes geht zum Beispiel nicht:

Als ich aufwachte, machte Pipi gerade das Frühstück. (POV Annika)

Ist Pipi nebenan in der Küche? Oder gar in ihrem eigenen Haus? In beiden Fällen kann Annika nicht wissen, was sie gerade tut. Sie muss dazu erst in die jeweilige Küche gehen.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Annika tief in der dunklen Höhle erwachte. (POV Annika)

Wenn sie tief in der dunklen Höhle liegt, hat Annika ja gar keine Ahnung, was die Sonne draußen macht. Das weiß sie erst, wenn sie aufsteht und zum Höhleneingang geht.

Merken Sie sich also: Bleiben Sie am Ort des Geschehens!

Im Kopf des anderen

Auch wenn keine Wand dazwischen ist, auch wenn Annika den anderen Menschen ins Gesicht sieht, so wird sie im Allgemeinen trotzdem nicht wissen können, was in deren Köpfen vor sich geht.

Zum Beispiel hier:

Annikas Stimme klang gereizt, was Tommy nicht entging. (POV Annika)

Abhilfe könnte ein kleines Wort schaffen, wie „offensichtlich“ oder „scheinbar“. Denn dann berichten Sie wieder, was Annika wahrnimmt, und sprechen nicht für Tommy, in dessen Kopf die Krähe nicht steckt. Deutlich schöner wäre es jedoch, wenn Sie die „Show, don’t tell“-Regel beherzigen: Woran erkennt man, dass Tommy mitbekommen hat, wie gereizt Annika ist?

 

Tommy wollte nicht antworten. Er zuckte nur mit den Schultern. (POV Annika)

Es kann schon sein, dass Annika mit dieser Vermutung recht hat, aber wissen kann sie es nicht. Will Tommy wirklich nicht antworten oder ist er einfach gerade zu müde, um den Mund zu bewegen? Auch dieser Fehler ist leicht behoben, z. B. indem Sie das Wort „wohl“ einfügen.

Tommy wollte wohl nicht antworten. Er zuckte nur mit den Schultern. (POV Annika)

Mit einem kleinen Wort haben Sie aus dem ersten Satz eine Vermutung Annikas gemacht. Und vermuten darf sie ja.

Pipi freute sich darüber und antwortete: „Na klar, komme ich mit.“ (POV Annika)

Auch wenn wir dem anderen die Freude normalerweise ansehen, so liegt hier trotzdem ein Perspektivfehler vor. Vielleicht ist ja Pipis Freude nur gespielt. Oder sie freut sich über etwas ganz anderes. Lassen wir das Wissen, worüber Pipi sich freut, bei ihr. Annika kann stattdessen das berichten, was sie wirklich weiß, nämlich:

Pipi lächelte breit. „Na klar, komme ich mit“, sagte sie. (POV Annika)

Noch ein Beispiel, wie wir Annika für die andern sprechen lassen:

Wir lagen in der Wiese und dachten alle drei eine Weile über Herrn Nielsson nach.

Aber wissen wir das denn? Oder denkt Tommy vielleicht gerade an Sahnetorte und Pipi an ihren Papa in der Südsee?

Besser wäre:

Wir lagen eine Weile still in der Wiese. Meine Gedanken kreisten um Herrn Nielsson.

Worüber denken die anderen nach? Wir wissen es nicht. Aber wenn die drei vorher über Herrn Nielsson gesprochen haben, dann liegt die Vermutung nahe, dass auch die anderen beiden an ihn denken. Und das werden auch Ihre Leser erkennen.

Merken Sie sich also: Ihr POV-Charakter kann nicht in die Köpfe der anderen schauen.

Hier beende ich das Thema für heute. Wir haben allerdings erst die Hälfte der möglichen Fehler behandelt. Beim nächsten Mal schauen wir uns daher den großen Bereich der Selbst- und Fremdwahrnehmung an.

Kategorien: Kreatives Schreiben

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