Im Rahmen meiner Reihe zum Thema „Kreatives Schreiben“ möchte ich in den nächsten Wochen das Thema der Erzählperspektive genauer beleuchten. Denn das hat es wirklich in sich – und die Perspektive zu halten gehört für unerfahrene Autoren zu den schwierigsten Aufgaben.
Gar nicht so unwichtig!
Als Sie die ersten Versuche im Schreiben von Geschichten unternommen haben, werden Sie vermutlich, ohne darüber nachzudenken, spontan zu einer der gängigen Erzählperspektiven gegriffen haben. Und diese werden Sie dann mehr oder weniger konsequent durchgehalten haben – im Zweifelsfall weniger.
Zumindest ist es mir bei meinen ersten Schreibversuchen so ergangen. Ich habe automatisch aus der Perspektive geschrieben, die mir am geläufigsten war – und dabei jede Menge Fehler gemacht, die mir erst aufgefallen sind, nachdem ich mich mit dem Thema Erzählperspektiven eingehend befasst hatte.
Dabei ist die Erzählperspektive so wichtig, dass man sich darüber sehr wohl Gedanken machen sollte. Denn mit der Wahl der Perspektive steht und fällt im Zweifelsfall die ganze Geschichte. Bestseller oder Flop – den Unterschied kann durchaus die Erzählperspektive machen. Je nachdem, was Sie erzählen wollen, wie nah Sie den Leser an das Geschehen heranlassen wollen und in welchem Genre Ihre Geschichte angesiedelt ist, gibt es besser oder schlechter geeignete Erzählweisen.
Die Wahl der Perspektive entscheidet zum Beispiel darüber
- wie intensiv wir die Geschichte erleben,
- was wir über das Geschehen und die Protagonisten wissen,
- zu wem wir welche Gefühle aufbauen,
- ob die Erzählstimme heiter, traurig, gebildet, eingebildet oder gar zynisch klingt,
- wie spannend die Geschichte ist.
Mit der Perspektive können wir außerdem die Emotionen der Leser lenken und Wirkung von Ereignissen in der Geschichte verstärken oder abschwächen. Wir entscheiden über die Perspektive, wie nah wir den Leser an das Geschehen heranlassen wollen.
Sich über die Perspektive, aus der Sie erzählen, im Klaren zu sein, ist aber auch aus einem anderen Grund wichtig: Fehler in der Perspektive können den Leser im Zweifelsfall aus der Geschichte reißen. Und dann ist es erst einmal vorbei mit der Identifikation und dem Hineinversetzen in die Welt der Erzählung – und folglich mit dem Lesespaß.
Was ist die Erzählperspektive?
Stellen Sie sich vor, Ihre Kinder streiten sich. Sie gehen dazwischen und versuchen herauszufinden, was passiert ist. Ihr Sohn sagt: „Die hat angefangen! Die hat mich ohne Grund gehauen!“ Ihre Tochter wird Ihnen wiederum erzählen, dass der Bruder angefangen hat, denn er hat sie stundenlang ignoriert, bis sie schließlich versucht hat, sich mit Gewalt Gehör zu verschaffen. Sprechen Sie nun Ihren Sohn darauf an, warum der seine Schwester ignoriert hat, wird er vielleicht erzählen, dass er versucht hat, ein Buch zu lesen, aber immer wieder von der kleinen Schwester gestört worden ist: „Die nervt total!“
Wer hat denn nun Recht? Wer hat angefangen? Sie ahnen es: Das kommt ganz auf die Perspektive an. Ihre Tochter hat die Geschehnisse auf eine Weise erlebt, Ihr Sohn auf eine andere.
Und genauso ist es auch bei Ihrer Erzählung: Jeder hat seine eigene Sicht auf Ereignisse und seine eigene Betrachtungsweise, die von seinem Charakter, seinen bisherigen Erlebnissen, seiner Stimmung zur Zeit des Erzählens und der jeweiligen Situation abhängig sind. Und deshalb ist jede Geschichte auch anders, je nachdem, wer sie erzählt.
Stellen Sie sich zum Beispiel einen Krimi vor, der einmal aus der Perspektive des Kommissars und einmal aus der Perspektive des Schurken erzählt wird – wir sind uns sicher einig, dass das zwei komplett unterschiedliche Bücher wären. Auch wenn beide Versionen des Krimis von Ihnen stammen, sind sie doch komplett verschieden.
Denn Sie, der Autor, sind niemals der Erzähler. Zumindest nicht, wenn Sie wissen, was Sie tun. Sie sind der Chronist der Geschichte; der Erzähler ist jedoch jemand Eigenes, mit einer eigenen Erzählstimme. Sie, der Autor, können die Geschichte auf mindestens 10 verschiedene Arten erzählen, je nachdem, wen Sie als Erzähler wählen.
Übrigens sollte dem Leser nach den ersten paar Absätzen ersichtlich sein, mit welcher Art von Erzähler er es zu tun hat. Das hilft ihm, die Geschichte besser einzuschätzen. Denn ein pickliger Teenager sieht die Welt anders als eine 90-jährige Frau, und die erzählt uns die Ereignisse wiederum anders, als es ein knallharter Profikiller tun würde. Wenn ich als Leser weiß, wer hier erzählt, kann ich den Inhalt des Erzählten besser in Kontext setzen.
Welche Perspektiven gibt es?
Aber wie sieht das denn nun mit den Perspektiven konkret aus? Das möchte ich in den kommenden Wochen mit Ihnen anschauen. Dazu werde ich erst einmal auf die gängigsten Perspektiven etwas näher eingehen, die da wären:
- der neutrale Erzähler
- der auktoriale Erzähler
- der personale Erzähler
- der Ich-Erzähler
- weitere, nicht so häufig zu findende Erzähler.
Dabei werde ich auch anhand eines kurzen Textes ganz konkrete Beispiele für jede Perspektive geben.
Danach werden wir noch einmal genauer auf die Fallstricke der Perspektiven schauen, indem ich Ihnen einige Beispiele für Perspektivfehler zeige.
Und zu guter Letzt beschäftigen wir uns mit gleitenden Perspektiven bzw. dem Zoomen innerhalb einer Perspektive.
2 Kommentare
Die Lektoratte · 8 August, 2024 um 11:23
Danke fürs Verlinken! 🙂
Die Erzählperspektive - Autorenexpress · 8 August, 2024 um 10:23
[…] Wer erzählt denn da? Wie wichtig die richtige Erzählperspektive sein kann […]